Wie können Parzellen in einer ISOS-Umgebungszone genutzt werden?

Wir überarbeiten derzeit unseren Nutzungsplan. Nun stellt sich bei mehreren unbebauten Parzellen im Ortskern die Frage, welcher Zone sie zugewiesen werden sollen. Die Eigentümerinnen und Eigentümer haben uns mitgeteilt, dass sie bauen möchten. Mit Blick auf die Siedlungsentwicklung nach innen würde dies auch Sinn machen. Unser Dorf figuriert im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS). Hat dies einen Einfluss auf die Bebaubarkeit dieser Parzellen?

In der Rubrik «Sie fragen – wir antworten» beantworten Juristinnen und Juristen von EspaceSuisse Fragen aus der Schweizer Rechtspraxis in der Raumplanung. Die Antwort auf obige Frage lautet:

Zunächst einige Erläuterungen zum ISOS: Im vorliegenden Fall ist das ISOS nicht direkt anwendbar, da es sich nicht um eine Bundesaufgabe handelt. Die kommunalen Behörden müssen das Bundesinventar aber in der Interessenabwägung bereits im Rahmen der Nutzungsplanung berücksichtigen (Urteil Rüti ZH). Da Ihr Nutzungsplan älter ist als die ISOS-Inventarisierung, bietet die aktuelle Revision die Gelegenheit, ihn an das Inventar anzupassen. Das ISOS ist keine Käseglocke und lässt der Gemeinde einen bestimmten Handlungsspielraum bei der Umsetzung. Es wäre deshalb sinnvoll, sich durch eine Fachkommission beraten zu lassen.

Nun zur Antwort auf Ihre Frage: Lesen Sie die Beschreibung im ISOS zu ihrer Gemeinde aufmerksam. Eine Aufnahme ins ISOS bedeutet nicht automatisch, dass nicht neu gebaut werden darf. Jeder Fall ist gesondert zu beurteilen (siehe Urteile Saint-Prex VD und Lutry VD).

Die betroffenen Parzellen befinden sich aktuell in einem Perimeter, in dem vor der Bebauung ein Sondernutzungsplan erarbeitet werden muss, und sie liegen in einer ISOS-Umgebungszone mit Erhaltungsziel «a». Das Ziel wird definiert als «Pufferzone zwischen der bebauten Kernzone und der Wohnumgebung». Weiter unten heisst es, dass dieser Bereich einen Ruhepol im Siedlungsgebiet darstelle. In Anbetracht des Ziels «a» und der Erläuterungen ist das Interesse am Erhalt dieser unbebauten Parzellen relativ hoch. Es müsste ein gewichtiges entgegengesetztes Interesse geltend gemacht werden, um sie zu bebauen. Eine umfassende Interessenabwägung ist deshalb unumgänglich.

Darauf verweist das Bundesgericht auch in einem kürzlich gefällten Urteil (Mels SG), bei dem eine Gemeinde das ISOS und dessen Schutzziele nicht ausreichend berücksichtigt hatte. Der Fall weist Ähnlichkeiten mit Ihrer Situation auf: Die Gemeinde hatte einen Teil der betroffenen Parzellen als geschützte Kernzone ausgeschieden und den Rest als Grünzone definiert. Auf der Suche nach einem Mittelweg hatte sie sich für eine massvolle Entwicklung nach innen entschieden. Das Bundesgericht vermisste aber eine umfassende Interessenabwägung im Zusammenhang mit den ortsbildprägenden Grünräumen im Dorfkern.

Quelle: Inforaum 3/2023

Urteile im Wortlaut

BGE 135 II 209 (Rüti ZH), in Urteilsammlung (US) EspaceSuisse Nr. 3786

Urteil BGer 1C_459/2020 vom 27.10.2022 (Mels SG) in US EspaceSuisse Nr. 6383

Urteile BGer 1C_334/2020 vom 27.7.2021 (Saint-Prex VD) in US EspaceSuisse Nr. 6162 und 1C_76/2020 vom 5.2.2021 (Lutry VD) in US EspaceSuisse Nr. 6164

ARE, BAK, BPUK, ACS, SSV, ISOS-Leitfaden, Ortsbildschutz und Innenentwicklung, Bern 2022

BLIND SONIA/PERREGAUX CHRISTA, Interessenabwägung, in: EspaceSuisse, Inforaum 1/2020

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