Verkehr und Siedlung

Alain Beuret, Architekt EPFL und Raumplaner, Team Siedlungsberatung EspaceSuisse
Dienstag, 05.12.2023
Verkehr und Siedlung beeinflussen sich gegenseitig. Sie in ein Gleichgewicht zu bringen, ist eine komplexe Daueraufgabe.
Die Verkehrsinfrastruktur verbraucht viel Platz in den Städten und schafft physische Barrieren, wie hier in Vernier GE. (Foto: Alain Beuret, EspaceSuisse )

Lange führte das Bevölkerungswachstum zur Schaffung neuer Bauzonen am Siedlungsrand, Bauzonen, die wiederum durch einen stetigen Ausbau des Strassennetzes erschlossen werden mussten. Diese kontinuierliche Ausbreitung der Siedlungs- und Verkehrsinfrastruktur führte zu einem explosionsartigen Anstieg des motorisierten Individualverkehrs, mit den bekannten Überlastungen.

Um diesen Trend zu stoppen, hat sich das Schweizer Stimmvolk vor zehn Jahren an der Urne für die Revision des Bundesgesetzes über die Raumplanung (RPG 1) ausgesprochen. Neubauten müssen seither innerhalb des bereits bebauten Siedlungsgebietes entstehen. Diese Verdichtung stösst jedoch auf Widerstand in der Bevölkerung, weil sie eine Zunahme des Verkehrs und der damit verbundenen Belastungen, insbesondere durch Lärm und Luftverschmutzung, befürchtet.

Welcher Verkehr in dichten Quartieren?

Glücklicherweise muss der Verkehr nicht zwingend im gleichen Ausmass wachsen wie die Bevölkerung, sofern nicht kopflos flächendeckend verdichtet wird. Die Verdichtung soll sich vielmehr auf Gebiete konzentrieren, die bereits gut an den öffentlichen Verkehr angebunden sind, so dass echte Alternativen zum Auto bestehen. Ebenso braucht es effiziente Verkehrsdrehscheiben für Personen, die aus schlecht erschlossenen Gebieten in die Stadt pendeln müssen.

Die Stadt der kurzen Wege

Damit eine hochwertige Siedlungsentwicklung nach innen gelingt, muss man auf mehrere Verkehrsmittel setzen: Wichtig ist eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr, aber auch ein attraktives und leistungsfähiges Netz für den Langsamverkehr (zu Fuss und mit dem Velo) für die täglichen (kurzen) Wege. Dichte Siedlungen bieten vieles in nächster Nähe. An solchen Orten ist es selbstverständlich, mit dem Bus zur Arbeit zu fahren oder zu Fuss einkaufen zu gehen, was die täglichen Verkehrsströme verringert. Das ist die ideale Stadt – die Stadt der kurzen Wege.

Dem öffentlichen Raum kommt dabei eine zentrale Rolle zu: Ist er mit lärmenden, fahrenden oder parkierten Autos vollgestopft, werden selbst die kurzen, täglichen Wege zu einer Belastung. Ist er hingegen intelligent aufgeteilt, verkehrsberuhigt und bietet Raum für Begegnungen, wird er von den Bewohnerinnen und Bewohnern geschätzt. In dicht bebauten Gegenden sind die Pro-Kopf-Kosten für die Verkehrsinfrastruktur zudem niedriger als in zersiedelten Gebieten.

In Bezug auf den motorisierten Individualverkehr braucht es eine angebotsorientierte Verkehrspolitik. Nicht die steigende Nachfrage soll den Umgang mit der Verkehrsinfrastruktur bestimmen, sondern ein siedlungsverträgliches, wirtschaftliches Angebot, das sich an den Kapazitätsgrenzen orientiert.

Die Mobilität in Post-Corona-Zeiten

Heute wird das Pendlermodell, bei dem das Angebot des öffentlichen Verkehrs auf die Fahrten zwischen Wohnort und Arbeitsplatz abgestimmt wird, in Frage gestellt. Der Anteil der Freizeitwege ist nämlich höher (gemäss dem letzten Mikrozensus Mobilität und Verkehr durchschnittlich 42 Minuten pro Tag gegenüber 20 Minuten für Arbeit und Ausbildung zusammen). Das Aufkommen von Home Office während der Pandemie hat uns mehr freie Zeit verschafft, um aus dem Alltag auszubrechen. Zudem führen die zunehmenden Hitzewellen im Sommer dazu, dass wir die Stadt häufiger verlassen, um den Hitzeinseln zu entfliehen.

Auch hier spielt die Stadt der kurzen Wege eine massgebliche Rolle. Denn wenn wir in der Nähe unseres Wohnortes Parks oder natürliche Erholungsgebiete finden können, müssen wir weniger oft aus der Stadt flüchten.

Verkehr und Siedlung aufeinander abstimmen

Zentrale Instrumente, um die Verkehrs- und Siedlungsentwicklung aufeinander abzustimmen, bilden die kantonalen Richtpläne und die Agglomerationsprogramme. Auf interkommunaler Ebene stimmen die Gemeinden Siedlung und Verkehr in regionalen Richtplänen ab.

Nutzungsplanung und Parkierungsreglemente sind grundlegende Instrumente, die den Gemeinden zur Verfügung stehen, um die Verkehrs- und Siedlungsentwicklung zu koordinieren. Für gewisse Quartiere können Gemeinden zudem auf Verkehrsgutachten oder Mobilitätskonzepte zurückgreifen, um Leitlinien im Bereich der Verkehrs- und Siedlungsentwicklung festzulegen.

Sie können aber auch die Entwicklung von autoarmen Quartieren fördern. In dieser Hinsicht ist das Thema Parkieren ein wichtiger Hebel, um den motorisierten Individualverkehr zu vermindern und mehr Grünflächen zu schaffen. Die VSS-Norm, die zwei Parkplätze pro Wohnung mit einer Fläche von mehr als 100 Quadratmeter empfiehlt, wird noch allzu oft systematisch angewendet, ohne die örtlichen Bedingungen zu berücksichtigen. Dabei geht nicht darum, Autos zu verbannen. Vielmehr sollen ihre Auswirkungen in einem begrenzen Raum reduziert werden. Ganz nach dem Grundsatz: Mehr geteilte Autos bedeutet weniger geparkte Autos und letztlich ein optimiertes Raummanagement zugunsten anderer Nutzungen.

Lust auf konkrete Beispiele?

Lesen Sie Samuel Bernhards Artikel über autoarmes Wohnen in Deitingen SO im Inforaum 1/2024, das im März erscheinen wird.

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